Ausschnitt aus eMail der eMail-Newsgroup:: Von: Sand im Getriebe @attac.org An: sandimgetriebe@listi.jpberlin.de Datum: Di 29.01.2002 , 13:28 MEZ Betreff: [sandimgetriebe] Sand im Getriebe Ausgabe 02/02 Gemeinsamer Newsletter von Attac Österreich, Schweiz und Deutschland -- Sand im Getriebe Internationaler deutschsprachiger Rundbrief der Attac-Bewegung Ausgabe 2/2002 (29. Januar 2002) eMail: sand.im.getriebe@attac.org >Version als PDF: http://www.attac-netzwerk.de/rundbriefe/sandimgetriebe02_02.pdf > Zum Eintragen: Um den wöchentlichen Newsletter "Sand im Getriebe" zu abonnieren, schickt eine eMail mit dem Inhalt: subscribe sandimgetriebe an: Majordomo@listi.jpberlin.de Zur Zeit haben 4424 Menschen diesen Rundbrief abonniert. Helfen Sie uns "Sand im Getriebe" bekannter zu machen! Schicken Sie interessierten FreundInnen und Bekannten das Inhaltsverzeichnis dieser Ausgabe und dem Hinweis zum Abonnieren. > Der Inhalt dieses Newsletters: 1. Aufruf gegen die Politik der Entpolitisierung von Pierre Bourdieu. All das, was man unter dem deskriptiven und zugleich normativen Begriff der "Globalisierung" fasst, ist keineswegs das Ergebnis zwangsläufiger ökonomischer Entwicklungen, sondern einer ausgeklügelten und bewusst ins Werk gesetzten, sich ihrer verheerenden Folgen allerdings kaum bewussten Politik. 2. Argentinien: Krise ohne Ende? Von Pedro Morazán. Die ehemalige "Kornkammer der Welt" und heute noch eines der wichtigsten Exporteure von Agrarprodukten und Rindfleisch sieht sich gezwungen den Notstand für Nahrungsmittel aufzurufen. Das Land ist bankrott und hat bereits das größte Schuldenmoratorium in der Geschichte der Weltwirtschaft erklärt. 3. Attac im Zénith von Bernard Cassen. Wir haben das attac-Ereignis vom 19. Januar zu klein angesetzt, als wir das Zénith für 3.500 Plätze hergerichtet haben. In Wirklichkeit mussten sehr bald die Vorhänge an der Bühne aufgezogen werden, um den Saal auf 6.000 Plätze aufzustocken. 4. Von Doha lernen von Walden Bello. Wie soll man die Ergebnisse des Ministertreffens der Welthandelsorganisation in Doha charakterisieren? Ich bin mir nicht sicher, ob eine Debatte darüber, ob in Doha eine neue Runde von Handelsberatungen eingeleitet worden ist, oder nicht, sehr weit führen würde. Dort ist jedoch etwas sehr Besorgnis erregendes geschehen, etwas, das wir der Öffentlichkeit, die im Moment im Bezug auf die Folgen von Doha reichlich verwirrt ist, sehr dringend vermitteln müssen. ... > 4. Von Doha lernen von Walden Bello Wie soll man die Ergebnisse des Ministertreffens der Welthandelsorganisation in Doha charakterisieren? Ich bin mir nicht sicher, ob eine Debatte darüber, ob in Doha eine neue Runde von Handelsberatungen eingeleitet worden ist, oder nicht, sehr weit führen würde. Dort ist jedoch etwas sehr Besorgnis erregendes geschehen, etwas, das wir der Öffentlichkeit, die im Moment im Bezug auf die Folgen von Doha reichlich verwirrt ist, sehr dringend vermitteln müssen. > Die drei wesentlichen Ergebnisse Drei Ergebnisse von Doha müssen hervorgehoben werden: 1. Doha hat die Welthandellorganisation (WTO) nach dem Desaster von Seattle wieder auf die Füße gestellt. C.Fred Bergsten, einer ihrer prominenten Mitstreiter, sagte einmal, dass die WTO wie ein Fahrrad sei, welches fällt, wenn es sich nicht vorwärts bewegt. Indem die Delegierten von Doha eine Erklärung beschlossen, die weitere Verhandlungen über die Liberalisierung beschleunigen, haben sie das Fahrrad wieder aufgerichtet und in Bewegung gesetzt. Mike Moore, der Generaldirektor, hat nicht übertrieben, als er dem Ministertreffen für "die Rettung der WTO" dankte. 2. Was aus Doha resultiert ist zwar nicht eine unmittelbare, neue Verhandlungsrunde über eine Vielzahl von Themen, trotzdem markiert das Treffen einen großen Schritt in Richtung einer weiteren Liberalisierung. Erstens bestätigt die Erklärung von Doha laufende Verhandlungen über einzelne, bereits bestehende Vereinbarungen, etwa das GATS (Allgemeines Abkommen über den Dienstleistungsverkehr) und andere im Bereich der Landwirtschaft und sie eröffnet weitere Verhandlungen, in denen bestehende Vereinbarungen überarbeitet werden sollen, wie das Anti-Dumping Abkommen. Zweitens wurden neue Verhandlungen, beispielsweise über Industriezölle, auf den Weg gebracht. Drittens, und das ist vielleicht am verhängnisvollsten, hat Doha durch die zentralen Passagen der verabschiedeten Erklärung Beratungen vorbereitet, die darauf abzielen, die Zuständigkeit der WTO um weitere Bereiche, jenseits des Handels, zu erweitern. Dabei handelt es sich um die sogenannten "neuen" oder "Singapur-Themen", nämlich Investitionen, Wettbewerbspolitik, staatliches Auftragswesen und Handelserleichterungen. 3. Doha war ein deutlicher Rückschlag für die Entwicklungsländer, von denen die meisten auf dem Treffen eine ganze Liste von Themen (die Gruppe der 77 nennt mindestens 104 verschiedene) diskutieren wollten, die mit der Umsetzung der Beschlüsse der Uruguay-Runde zu tun haben. Die Erklärung nimmt diese Sorgen lediglich zur Kenntnis und beschreibt vage einen Lösungsweg. Tatsächlich sind die Entwicklungsländer in den Schlüsselbereichen der Implementierung, die der Text spezifiziert, sogar die Verlierer. Die Europäische Union hat es geschafft, die Forderung der Cairns-Gruppe, nach einem schnellen Auslaufen von Exportsubventionen für die Landwirtschaft aufzuweichen, und die Vereinigten Staaten und andere Industrieländer haben sich nicht auf eine baldige Abschaffung von Einfuhrquoten für Textilien und Kleidung eingelassen, was für die Entwicklungsländer von besonderer Bedeutung gewesen wäre. Es ist wichtig festzuhalten, dass der Süden in Doha verloren hat, da große Teile der einflussreichen Presse des Nordens die Meinung geäußert haben, dass Doha beweise, dass die Entwicklungsländer bei WTO-Verhandlungen gewinnen können. Um dies zu belegen, wird häufig die in Doha verabschiedete Resolution zum Thema TRIPS (handelsbezogene geistige Eigentumsrechte) zitiert. Nun stimmt es sicherlich, dass dies für die Entwicklungsländer ein Schritt nach vorne war. Man darf jedoch ihre Bedeutung nicht überbewerten. Die Aussage, dass "nichts in dem TRIPS-Abkommen die Mitglieder davon abhalten soll, Maßnahmen zur Wahrung der öffentlichen Gesundheit" zu ergreifen, ist rein politisch. Der Kompromiss von Doha enthält nichts, was die Mitglieder dazu verpflichten würde, den Text von TRIPS zu ändern - was im Endeffekt die Durchsetzung der Position der USA bedeutet. Sogar der Economist, sonst ein nimmermüder Anhänger der Vorstellung, dass die WTO gut für die Entwicklungsländer sei, hat zugeben müssen, dass "die Erklärung politisch und nicht rechtsverbindlich ist." Das ist bedeutungsvoll, denn langfristig ist es der Gesetzestext, der zählt, denn er wird die Grundlage sein, auf der die Pharmaindustrie Entwicklungsländer verklagen könnte, sobald sie das politische Klima für günstiger halten. > Die Niederlage bewerten Doha war eine Niederlage für die Entwicklungsländer. Man muss jedoch bemerken, dass diese auf das Treffen viel besser vorbereitet waren, als in der Vergangenheit, was zum Teil auf die kapazitätsfördernde Arbeit von in Genf sitzenden zivilgesellschaftlichen Gruppen zurückgeht. Die vereinigte Front vieler Entwicklungsländer gegen die "neuen Themen" hielt bis zum Ende, als sie unter dem überwältigenden Druck des Blocks der Industrieländer zusammenbrach. Wahrhaftig, zum Schluss blieb Indien als einzige aktive Opposition mit der - nicht zu vergessen - stillschweigenden Unterstützung einiger anderer Länder, wie etwa Kuba, Jamaika und der Dominikanischen Republik im Rücken. Nichtsdestotrotz ist das Bewusstsein eines gemeinsamen Interesses und das Bedürfnis nach einer gemeinsamen Strategie angesichts der dominierenden Handelsmächte nunmehr gewachsen und dies bietet eine gute Grundlage für gemeinsames Handeln in den kommenden, schweren Monaten. > Kontext und Taktik Doha fand unter Bedingungen statt, die aus der Sicht der Interessen der Entwicklungsländer von vornherein ungünstig waren. Die Ereignisse vom 11. September gaben dem amerikanischen Handelsbeauftragten Robert Zoellick und dem EU-Handelskommissar Pascal Lamy eine ideale Gelegenheit, den Druck auf die Entwicklungsländer, einer neuen Handelsrunde zuzustimmen, zu erhöhen, indem sie an die Notwendigkeit appellierten , einer globalen Wirtschaftsflaute entgegenzuwirken, die durch die terroristischen Aktionen verschlimmert worden sei. Auch der Ort war ungünstig, da Katar eine Monarchie ist, in der Systemgegner leicht zu kontrollieren sind. Die Befugnis des WTO-Sekretariats, zu entscheiden, wer ein Visum für Katar bekommen würde, um an der Konferenz teilzunehmen, beschränkte radikal die Anzahl der anwesenden NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) und beugte so der explosiven Interaktion zwischen dem sich entwickelnden Groll der Entwicklungsländer und massiven Straßenprotesten, die in Seattle stattfand, vor. Diese Faktoren alleine hätten jedoch nicht ausgereicht, ein so ungünstiges Ergebnis hervorzubringen. Die Taktik zählte, und auf diesem Gebiet wurden die Entwicklungsländer in Doha klar ausmanövriert. Die Methoden, die von EU und USA angewandt wurden, um den Süden zu spalten müssen verurteilt und, wie viele Teilnehmer des Brüsseler Treffens nachdrücklich gefordert haben, sorgfältig dokumentiert werden. Mehr noch, sie müssen genau analysiert werden, um die Entwicklungsländer das nächste Mal besser vorbereiten zu können. Unter den Taktiken, die von der Brüsseler Kritik besonders hervorgehoben werden sind die folgenden: - Es wurde auf eine hochgradig unausgewogene Erklärung gedrängt und diese dem Treffen als ein "sauberer Text" vorgelegt, über den angeblich Konsens bestünde, wodurch die Gelegenheit zu einer ausführlichen Diskussion beschnitten, und es den Entwicklungsländern erschwert wurde, fundamentale Einwände anzumelden, ohne in den Geruch von "Obstruktionspolitik" zu geraten. - Die Vertreter aus den Hauptstädten wurden gegen ihre in Genf sitzenden Verhandlungsführer ins Rennen geschickt und letztere als "aufsässig" und "engstirnig" hingestellt. - Es hat direkte Drohungen gegeben; so warnten die USA beispielsweise Haiti und die Dominikanische Republik, dass sie Gefahr laufen würden, ihre Vorzugsbedingungen im Handel zu verlieren, wenn sie ihren Widerstand in der Frage des staatlichen Auftragswesen nicht aufgäben. - Es wurden Länder mit Geschenken gekauft, wie es die Europäische Union machte, als sie Mitgliedern der ACP-Gruppe (Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean) im Austausch für deren Zustimmung zur Abschlusserklärung versicherte, dass die WTO den sogenannte "AKP-Erlass" respektieren würde, der es ihnen erlaubt, ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu Vorzugsbedingungen (im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern) nach Europa zu exportieren. Pakistan, ein getreuer Anhänger der Entwicklungsländer in Genf, verhielt sich in Doha auffallend ruhig. Offensichtlich hatte das etwas damit zu tun, dass die USA dem Land wegen seines besonderen Status' im amerikanischen Krieg gegen den Terrorismus ein umfangreiches Paket aus Hilfsmitteln, Krediten und Schuldenreduktion zugesagt haben. Nigeria war so weit gegangen, schon vor Doha ein offizielles Kommunique herauszugeben, das den Entwurf für die Erklärung kritisierte, stellte sich aber am 14. November laut und deutlich hinter sie - eine Kehrtwende, die nur schwer von dem in der Zwischenzeit von den USA gemachten Versprechen eines kostspieligen wirtschaftlichen und militärischen Hilfspakets getrennt werden kann. - Am 13. und 14. November wurde der berüchtigte "Green Room" wieder eingeführt, als 20 handverlesene Länder vom Rest isoliert und vom WTO-Sekretariat und den Großmächten beauftragt wurden, die Abschlusserklärung zu schreiben. Die Wahl dieser Länder entsprach keinen demokratischen Kriterien und die Versuche einiger Entwicklungsländer, in diese "auserwählte" Gruppe vorzudringen, wurden zurückgewiesen, einige sanft, andere ziemlich nachdrücklich, wie im Falle eines Delegierten aus Uganda. - Schließlich wurde noch Druck auf die Entwicklungsländer ausgeübt, indem man ihnen mitteilte, dass sie die Verantwortung für die Verschlimmerung der globalen Rezession zu tragen haben würden, die aus einem Scheitern einer weiteren Konferenz und dem Zusammenbruch der WTO resultieren würde. Doha war ein Tiefpunkt in der durch mangelnde Transparenz sowie Einschüchterungen, Drohungen und Bestechungen in Hinterzimmern geprägten Geschichte von GATT und WTO. Niemand geringerer als Pascal Lamy, der EU-Handelskommissar hat die Vorgänge in Doha aus eigener Anschauung als "mittelalterlich" beschrieben. Es gibt keine Aufzeichnungen über den wirklichen Entscheidungsfindungsprozess, da die formalen Sitzungen des Treffens - in denen normalerweise in demokratischen Systemen die Entscheidungen gefällt werden - für Reden reserviert waren und die richtigen Entscheidungen in informellen Gruppierungen stattfanden, deren Treffpunkte nicht allen bekannt waren und darüber hinaus ständig verlegt wurden. Aufgrund des Fehlens von schriftlichen Aufzeichnungen gibt es wenig Verantwortlichkeiten und die Wortführer in Verhandlungen können ihr fragwürdiges Verhalten einfach leugnen. > Eine zerbrechliche Erneuerung Das Fahrrad steht aufrecht aber es wackelt noch und einer der Gründe dafür ist die anhaltende Verärgerung unter den Entwicklungsländern über den ganzen undurchsichtigen Prozess, in dem sie überlistet wurden, eine Erklärung zu akzeptieren, die ihren Interessen zuwider läuft. Die Legitimationskrise der WTO dauert an und der in Doha so offensichtlich gewordene Mangel an Transparenz und Demokratie könnte sie sogar noch vertiefen. Dieser Unmut wird durch die nach Doha gemachte Aussage des EU Agrarkommissars, dass das Aufweichen der Erklärung über das Auslaufen der landwirtschaftlichen Exportsubventionen ein "Sieg" für die EU sei, noch verstärkt - denn viele verstehen dies als eine Ankündigung der EU in den kommenden Agrarverhandlungen bis aufs Blut dafür zu kämpfen, die Subventionen beizubehalten. Weiterhin ist in Washington entschieden worden, die Einfuhrzölle für Stahl um bis zu 40% herauf zu setzen, angeblich um Dumpingpreise zu verhindern. In Wahrheit steht dahinter wohl eher die Absicht die massive Protektion der amerikanischen Stahlindustrie weiter auszubauen. So kurz nach Doha wird dieser Schritt von anderen Staaten als Zeichen dafür verstanden, dass Washington es mit den Neuverhandlungen über das Anti-Dumping-Abkommen, dem man in Doha zugestimmt hatte, nicht ernst meint, sondern dass Amerika vielmehr vorhat, seine Anti-Dumping-Mechanismen zu benutzen, um den Marktzugang ausländischer Anbieter nicht nur für Stahl, sondern auch für Textilien, Bekleidung und Agrarerzeugnisse zu verhindern. Weiterhin gibt es die sich vertiefende globale Rezession, die zu einem großen Teil von der durch die Liberalisierung des Handels ermöglichten unterscheidungslosen Integration und Verflechtung von Ökonomien herrührt. Sowohl im Norden wie im Süden entsteht augenblicklich großer Druck, die einheimischen Industrien zu schützen oder gar zu retten, wodurch ein globales Klima entsteht, das in zunehmendem Maße von Feindseligkeit gegenüber einer weiteren Handelsliberalisierung geprägt ist. All diese Faktoren machen das Ergebnis von Doha zerbrechlich und eine unserer zentralen Aufgaben wird es sein, in den kommenden Monaten einen Weg zu finden aus ihnen eine gemeinsame, effektive Strategie zu entwickeln, um die von Doha ausgehende Dynamik umzukehren. > Die Stellungnahme des Vorsitzenden: Der entscheidende Streitpunkt Eine Aufzählung dieser "mildernden" Faktoren sollte uns jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie lediglich die Position des strategischen Nachteils modifizieren, in der wir uns befinden und aus der wir uns selbst befreien müssen. Andererseits kämpfen NGOs, wie Martin Khor bemerkte, am besten, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen. In dieser Hinsicht gehört zu unseren Erfolg versprechendsten Waffen die Stellungnahme des Vorsitzenden zu Verhandlungen über die neuen Themen, die der Hauptstreitpunkt sind. Diese Stellungnahme ist ein Anhang der Abschlusserklärung, der darauf abzielte, Indiens Opposition gegen das Dokument zu beenden. Sie lautet wie folgt: "Lassen Sie mich bemerken, dass ich die Erwähnung eines ‚expliziten Konsenses' in diesen Paragraphen, der für das Fällen einer Entscheidung auf der Fünften Sitzung der Ministerkonferenz notwendig ist, so verstehe, dass auf dieser Sitzung eine Entscheidung tatsächlich solch einen ausdrücklichen Konsens erfordert, bevor Verhandlungen über Handel und Investitionen, Handel und Wettbewerbspolitik, Transparenz im staatlichen Auftragswesen sowie Handelserleichterungen stattfinden können. Aus meiner Sicht würde dies auch jedem Mitglied das Recht geben eine eigene Position zu den Modalitäten einzunehmen, die das Stattfinden von Verhandlungen nach der Fünften Sitzung der Ministerkonferenz verhindern würden, bis das jeweilige Mitglied bereit ist, einem ausdrücklichen Konsens beizutreten." Ich stimme mit denjenigen überein, die sagen, dass die Zukunft der neuen Themen davon abhängen wird, wie viel Gewicht man der Stellungnahme des Vorsitzenden beimisst und welche Interpretation sich durchsetzt. Am 10. Dezember, kurz nach unserer Brüsseler Tagung, sagte Philippe Meyer, Leiter der Abteilung für Investitionen der Generaldirektion der Europäischen Kommission, bei einem Treffen, das wir mit ihm und anderen Vertretern der Europäischen Kommission hatten, dass er froh sei, dass die WTO-Mitglieder "sich darauf geeinigt hätten, neue Investitionsverhandlungen einzuleiten." Das war meiner Meinung nach Absicht, Teil einer Strategie, die Tatsache zu verschleiern, dass sowohl die Stellungnahme des Vorsitzenden als auch die Erklärung von Doha selbst besagen, dass Verhandlungen erst nach dem Fünften Ministertreffen im Jahre 2003 stattfinden werden und nur nachdem es einen expliziten Konsens über die Durchführung solcher Verhandlungen gibt. Angesichts dieser nicht allzu subtilen Offensive, das Procedere zu bestimmen ist es wichtig, dass unsere Seite laut und deutlich bei jeder Gelegenheit darauf besteht, 1) dass Verhandlungen erst nach dem Fünften Ministertreffen beginnen können, 2) dass Verhandlungen nur stattfinden können, falls jeder einzelne Staat dem ausdrücklich zustimmt, 3) dass wie die Stellungnahme des Vorsitzenden deutlich macht, schon das Nein eines einzigen Staates genügt, den Beginn von Verhandlungen zu verhindern und 4) dass der Stellungnahme des Vorsitzenden die selbe rechtliche Bedeutung zukommt wie der Erklärung von Doha. > Das fehlende Glied Ich komme jetzt zu einigen Bemerkungen über Doha und die Zivilgesellschaft. Letztere war auf dem Gipfel durch 60 Repräsentanten echter NGOs - im Unterschied zu solchen, die von Unternehmen oder Regierungen kontrolliert werden - vertreten. Ihr Einfluss war jedoch größer, als ihre Anzahl vermuten lässt, denn dieses Häuflein zäher Aktivisten veranstaltete direkt auf dem Tagungsgelände Demonstrationen und Aktionen und trotzte so unmittelbar den Verantwortlichen von Katar und der WTO. Im Unterschied zu Seattle waren diesmal die Proteste allerdings wirklich global, denn sie fanden am 10. und 11. November in über 40 Ländern statt und mobilisierten Hunderttausende. Diese Solidaritätsbekundung gegen eine privatwirtschaftlich angetriebene Globalisierung war beeindruckend, doch leider hatte sie genau wie die Proteste im Doha Sheraton kaum einen entscheidenden Einfluss auf die Vorgänge in Doha. Maude Barlow hat gesagt, dass Massenproteste auf den Straßen einer Stadt in Zukunft wirkungslos werden könnten, da die Multilateralen aus Seattle eine Lehre gezogen hätten und fortan ihre Versammlungen in isolierten und weit entfernten Orten abhalten würden. Doha hat sicherlich bewiesen, wie erfolgreich diese Strategie ist. Nichtsdestotrotz würde auch Maude sicher zustimmen, dass wir die Straßen nicht aufgeben dürfen und dass wir uns im Gegenteil künftig sogar noch mehr bemühen müssen, unser Recht auf Straßendemonstrationen durchzusetzen, da Regierungen und die Polizei unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung versuchen die Rechte der Bewegung der Globalisierungskritiker zu beschneiden. Trotz der Ergebnisse von Doha kann man nicht stark genug betonen, welche Wirkung die geduldigen Bemühungen vieler Gruppen innerhalb unserer Koalition gehabt haben, den Delegationen von Entwicklungsländern in Genf dabei zu helfen, ihr technisches und politisches Verständnis von Themen und Vorgängen rund um die WTO zu verbessern. Unter den Früchten dieser Kooperation war der Vorschlag, einen "Entwicklungskasten" an das AOA (Agrarabkommen) anzuhängen, der Länder davon ausnehmen würde, Liberalisierungsmaßnahmen, die von der WTO vorgeschrieben werden, umzusetzen, um Ziele der Ernährungsversorgung und der Entwicklung zu erreichen. Das Einknicken der meisten Entwicklungsländer in Doha aufgrund des massiven Drucks der Industrieländer hat jedoch gezeigt, welche Grenzen der Ansatz aus Straßenprotesten und Genfer Lobbyarbeit hat. Wie Fernando Alegria, Mariama Williams und andere Teilnehmer des Brüsseler Treffens schon wiederholt erklärt haben, fehlt ihm ein wichtiges Element nämlich konstanter Druck von sozialen Bewegungen auf ihre Regierungen. Es gibt keine Alternative dazu, dass Bewegungen an der Basis in einem Land nach dem anderen ihren Regierungen die Hölle heiß machen. Wenn dieses Vakuum bestehen bleibt, wird das nächste Ministertreffen eine Wiederholung von Doha sein. Wir haben wirklich alle Hände voll zu tun und es bleiben uns nur noch 15 bis 18 Monate bis zum Fünften Ministertreffen um uns vorzubereiten: wir müssen eine Strategie formulieren und auf den Weg bringen, die es ermöglicht, Straßenproteste, die Lobbyarbeit der verschiedenen Delegationen in Genf und den Druck von Unten auf die Regierungen zu vereinen. > Zusammenfassung Meiner Ansicht nach kann man die Lehren aus dem Debakel von Doha folgendermaßen zusammenfassen: - Doha hat das Fahrrad der von der WTO dirigierten globalen Handelsliberalisierung wieder aufgerichtet und in Bewegung gesetzt. - Doha war eine Niederlage für die Entwicklungsländer, obwohl sie mit einem größeren Bewusstsein ihrer gemeinsamen Interessen und gestärkter Geschlossenheit angereist waren als in der Vergangenheit. - Der 11. September und der Tagungsort spielten eine Rolle, aber es waren die schmutzigen Hochdrucktaktiken der USA und der EU, die in einem nicht-transparenten und undemokratischen Prozess den Hauptausschlag für das Ergebnis gaben. - Der Sieg der Industrieländer in Doha ist jedoch zerbrechlich und reversibel; eine Kombination aus der anhaltenden Verärgerung der Entwicklungsländer über den undurchsichtigen Prozess, die Weigerung der EU und der USA, die Verpflichtungen, die sie in der Erklärung eingegangen sind, zu erfüllen, sowie des wachsenden Widerstands gegen weitere Liberalisierung sowohl im entwickelten Norden, wie im Süden, der von der sich verschärfenden globalen Rezession ausgelöst wurde, machen ihn angreifbar. - Die neuen Themen werden in den kommenden Monaten die entscheidenden Auseinandersetzungspunkte sein und das Gewicht, dass man der Stellungnahme des Vorsitzenden gibt, wird der entscheidende Faktor in der Auseinandersetzung sein. - Die Einmischung der Zivilgesellschaft wird weiterhin eine extrem wichtige Rolle spielen. Das Ergebnis des nächsten Ministertreffens und der ganze Kampf gegen die bedenkenlose Liberalisierung wird davon abhängen, dass das bis jetzt fehlende Glied entsteht: die Mobilisation sozialer Bewegungen, die ihre Regierungen davon abhalten, zerstörerische Zugeständnisse zu machen. Den entscheidenden Unterschied wird eine innovative Strategie machen, die Proteste auf den Straßen, die Lobby in Genf und den Druck von der Basis auf die Regierungen auf innovative Art und Weise zu koordinieren. Dr. Walden Bello ist geschäftsführender Direktor von FOCUS (Focus on the Global South, http://www.focusweb.org) in Bangkok, Thailand und Professor für Soziologie an der Universität der Philippinen. Dieser Artikel basiert auf zwei Vorträgen, die der Autor auf dem Treffen der "Our World is not for Sale Coalition" ("Die Welt ist keine Ware") gehalten hat, die vom 7. bis 9. Dezember 2001 in Brüssel stattfand. Übersetzer : Markus FRÖHLICH Durchleserin : Annette SUDEK -- Sand im Getriebe Internationaler deutschsprachiger Attac-Newsletter T: (+49) 4231/957-593 F: (+49) 4231/957-594 mailto:sand.im.getriebe@attac.org -- Sie können sich in diese Mailing-Liste auch auf der Website http://www.attac-netzwerk.de/mailing.html eintragen... Infos zu Attac unter: www.attac-austria.org, www.attac.org/suisse, www.attac-netzwerk.de