USA auf dem Kriegspfad von Eduardo Galeano , einem Schriftsteller aus Uruguay In: „Brecha. Uruguay, Dezember 2002 zitiert in: "Sand im Getriebe" Nr. 16: dem eMail-Monatsrundbrief der ATTAC-Bewegung v. 22.1.03 -> http://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/sandimgetriebe zum Abbonnement Zeiten der Angst. Die Welt lebt in einem Terrorzustand und der Terror tarnt sich: Es sei das Werk Saddam Husseins, dieser seiner Feindesrolle langsam überdrüssigen Akteurs, oder das von Osama bin Laden, Angstmacher von Beruf. Der wahre Urheber der weltweiten Panik aber heißt „Markt“. Dieser Herr hat nichts mit dem netten Platz im Stadtteil zu tun, wo man Obst und Gemüse kauft. Er ist ein allmächtiger, gesichtsloser Terror, der – Gott gleich – überall ist, und sich – Gott gleich – ewig wähnt. Seine zahlreichen Kommentatoren kündigen an: „Der Markt ist angespannt“. Und sie mahnen: „Man soll den Markt nicht stören“. Seine gewaltige Kriminalakte macht ihn furchterregend. Seit jeher stiehlt er Nahrung, killt Arbeitsstellen, kidnappt Länder und fabriziert Kriege. Um seine Kriege zu verkaufen, sät der Markt die Angst. Und die Angst macht sich breit. Das Fernsehen sorgt dafür, dass die New Yorker Türme jeden Tag aufs Neue einstürzen. Was blieb von der Milzbrand-Panik? Nicht nur eine offizielle Ermittlung, die wenig oder gar nichts über jene tödlichen Briefe herausfand, sondern auch eine spektakuläre Steigerung der US-Militärausgaben. Und die gewaltigen Summen, die dieses Land der odesindustrie widmet, sind keine Peanuts: Allein die Ausgaben von eineinhalb Monaten wären ausreichend, um Not und Elend in der ganzen Welt zu beseitigen, wenn man den UNO-Zahlen glauben darf. Sobald der Markt es anordnet, blitzt das rote Alarmlicht des Gefahrenbarometers auf, dieser Vorrichtung, die jeden Verdacht in Evidenz umwandelt. Die Präventivkriege töten aufgrund von Vermutungen, nicht von Beweisen. Jetzt ist der Irak wieder dran. Zum wiederholten Male wird dieses bestrafte Land verurteilt. Die Toten werden es schon verstehen können: Im Irak befindet sich die weltweit zweitgrößte Erdölreserve, und das ist es eben, was der Markt zurzeit braucht, um Brennstoff für die verschwenderische Konsumgesellschaft abzusichern. “Spieglein Spieglein an der Wand, wer ist der Furchterregendste im Land?” Die imperialen Großmächte besitzen – durch ein Naturrecht – das Monopol über Massenvernichtungswaffen. Als zur Zeit der Eroberung Amerikas der heute so genannte Weltmarkt entstand, starben viel mehr Ureinwohner durch Pocken und Grippe als durch das Schwert oder das Gewehr. Der Sieg der europäischen Invasion hatte den Bakterien und Viren viel zu verdanken. Diese zufälligen Helfer wurden Jahrhunderte später in den Händen der Großmächte zu Kriegswaffen. Eine Handvoll Staaten besitzt das Monopol über biologische Arsenale. Die USA erlaubten Saddam Hussein vor zwei Jahrzehnten, Seuchenbomben gegen die Kurden abzuwerfen; da war er noch ein Liebling des Abendlandes und die Kurden standen schlecht in der Presse. Aber diese Waffen waren aus von einem Unternehmen aus Rockville, Maryland, bezogenen Stämmen hergestellt worden. In militärischen Angelegenheiten, wie in allen anderen auch, predigt der Markt die Freiheit, die Kompetenz aber schätzt er kein bisschen Das Angebot befindet sich im Namen der Weltsicherheit in den Händen Weniger. Saddam Hussein jagt große Angst ein. Die Welt zittert. Furchtbare Bedrohung: Der Irak könnte bakteriologische Waffen wieder benutzen und, noch viel schlimmer, er könnte irgendwann einmal über Atomwaffen verfügen. Die Menschheit dürfe eine solche Gefahr nicht zulassen, proklamiert der gefährliche Präsident des einzigen Staates, der Atomwaffen zur Ermordung von Zivilbevölkerungen bislang verwendete. Vernichtete etwa der Irak die Alten, Frauen und Kinder von Hiroshima und Nagasaki? Das ist die Landschaft des neuen Jahrtausends: Menschen, die nicht wissen, ob sie morgen etwas zu essen bekommen oder obdachlos werden, oder wie sie ihr Überleben im Fall von Krankheit oder Unfall sichern sollen; Menschen, die nicht wissen, ob sie morgen ihre Arbeitsstelle noch haben, oder gezwungen werden, doppelt so viel für die Hälfte des Lohns zu arbeiten, oder ob ihre Rente von den Börsenwölfen oder den Inflationsratten nicht verschlungen wird; Bürger, die nicht wissen, ob sie morgen an der Straßenecke oder in ihrem Haus nicht ausgeraubt werden, oder ob nicht irgend ein Verzweifelter ihnen ein Messer in den Bauch sticht; Landwirte, die nicht wissen, ob sie morgen noch Land zum Anbauen besitzen werden und Fischer, die nicht wissen, ob sie noch unvergiftete Flüsse und Meere vorfinden werden; Menschen und Staaten, die nicht wissen, wie sie morgen ihre durch den Wucherzins potenzierten Schulden bezahlen sollen. Sind diese alltäglichen Schrecken etwa das Werk von Al-Kaida? Die Wirtschaft verübt Attentate, über die die Tageszeitungen nicht berichten: Jede Minute tötet sie 12 Kinder durch Hunger. In der terroristischen Organisation der Welt, die das Militär unter Wache hält, gibt es eine Milliarde chronische Hungernde und sechshundert Millionen Übergewichtige. Harte Währung, zerbrechliches Leben: Ekuador und El Salvador übernahmen den Dollar als Landeswährung, aber die Bevölkerung flüchtet. Nie zuvor hatten diese Länder soviel Armut und so viele Auswanderer erlebt. Der Ausverkauf menschlicher Arbeitskraft ins Ausland verursacht Entwurzelung, Kummer und Devisen. Die gezwungenermaßen in anderen Ländern arbeitenden Ekuadorianer schickten im Jahre 2001 Geldsummen in ihre Heimat, die den Export von Bananen, Garnelen, Thunfisch, Kaffee und Kakao übertrafen. Auch Uruguay und Argentinien vertreiben ihren jungen Nachwuchs. Die Auswanderer, selbst Enkelkinder von Einwanderern, hinterlassen zertrümmerte Familien und schmerzliche Erinnerungen. „Doktor, man hat mir die Seele zerbrochen“: In welchem Krankenhaus wird so etwas behandelt? In Argentinien vergibt ein Fernsehquiz jeden Tag den begehrtesten Preis: eine Arbeitsstelle. Die Schlangen der Interessenten sind ellenlang. Die Sendung stellt die Kandidaten aus, das Publikum wählt den Gewinner. Eine Arbeit bekommt derjenige, der am meisten Tränen vergießt und vergießen lässt. Sony Pictures verkauft schon die erfolgreiche Formel in der ganzen Welt. Was für eine Arbeitsstelle? Egal welche. Was für einen Lohn? Egal welchen und egal wie. Die Verzweifelung der Arbeitssuchenden und die Angst der Beschäftigten, ihre Arbeitsstelle zu verlieren, nötigt sie, das Unannehmbare anzunehmen. In der ganzen Welt setzt sich das “Wal-Mart-Modell” durch. Der Einzelhändler Nummer 1 in den USA verbietet gewerkschaftliche Tätigkeiten und erhöht ohne Bezahlung die Arbeitszeiten. Der Markt exportiert dieses lukrative Modell. Je angeschlagener der Staat ist, desto einfacher wird es, Arbeitsrechte abzuschaffen. Und desto einfacher wird es auch, andere Rechte zu opfern. Die Väter des Chaos verkaufen die Ordnung. Durch Armut und Arbeitslosigkeit vermehrt sich die Kriminalität, die wiederum Panik verbreitet, und auf diesem fruchtbaren Boden gedeiht das Schlimmste. Die argentinischen Militärs, denen das Verbrechen nur zu gut bekannt ist, werden aufgefordert, das Verbrechen zu bekämpfen: Sie sollen uns vor der Kriminalität retten, kreischt Carlos Menem, ein Funktionär des Marktes, der die Kriminalität nur zu gut kennt, weil er sie wie kein anderer praktizierte, als er Präsident war. Niedrigste Kosten, höchste Gewinne, Null Kontrolle: Ein Erdöltanker bricht auseinander und die tödliche schwarze Flut verseucht die Küsten Galiziens und weiterer Gebiete. Das lukrativste Geschäft der Welt erzeugt Reichtümer und “Natur-Katastrophen. Die giftigen Gase, die das Erdöl in die Atmosphäre abgibt, sind die Hauptursache für das Ozonloch, das bereits die Größe der USA erreicht hat, und für die Klimakapriolen. In Äthiopien und anderen afrikanischen Ländern erleiden Millionen Menschen durch die Dürre die schlimmste Hungersnot der letzten zwanzig Jahren, während Deutschland und andere europäische Länder gerade von Überschwemmungen heimgesucht werden, die die schwerste Katastrophe des letzten Halbjahrhunderts darstellen. Davon abgesehen, erzeugt das Erdöl auch Kriege. Armer Irak.