aus: Weltwoche , Heft 36 / 2002:
Es wird mit der Atombombe enden
Der Friedensforscher Johan Galtung erklärt, warum Amerika im
Kampf gegen das Böse bis zum Äußersten gehen wird und
weshalb George W. Bush und Osama Bin Laden einander ähneln.
Das Gespräch führten David Signer und Armin Guhl
Weltwoche: Herr Galtung, morgen fliegen Sie nach Sri Lanka, um
zwischen Konfliktparteien zu vermitteln. Was ist das für ein Gefühl:
zu wissen, da am Tisch sitzt jemand, der ist für Morde und Gräuel
verantwortlich?
Johan Galtung: Niemals moralisieren. Die Grundthese ist immer:
Alles wäre vermeidbar, wenn man nur schon vorher den Konflikt
ernst genommen hätte. Natürlich hat immer der andere Schuld.
Also frage ich am Anfang, wie die eine Konfliktpartei die andere
sieht. Und am Ende kommt die peinliche Frage: Was glauben Sie,
wie Ihr Gegenüber Sie betrachtet? Dann heißt es meistens:
Ja, da
gibt's ganz viel Propaganda. Aber es ist eigentlich erstaunlich, wie
kurz diese Phase ist.
Weltwoche: Was hilft, um die Situation zu entkrampfen?
Johan Galtung: Humor ist sehr wichtig. Und Metaphern. Statt die Lage
in
Sri Lanka zu analysieren, etwas über Nordirland sagen. Und dann
kommt
immer der Punkt, wo jemand sagt: Das ist interessant, könnten
Sie das etwas
näher erklären. Meistens meldet sich dann der Amateurpsychologe
zu Wort
und sagt: Ja, aber die sind völlig anders als wir. Ich präsentiere
oft
Schweizer Lösungen. Ja, die Schweizer, heißt es dann, die
sind eben nicht
so heißblütig wie wir. Aber eigentlich weiß jeder,
daß es nicht darum
geht.
Weltwoche: Die erste Voraussetzung aber ist wohl, daß sich die
Konfliktparteien an einen Tisch setzen.
Johan Galtung: Nein, die Diplomaten machen immer den gleichen Fehler:
Sie
wollen die gegnerischen Parteien um einen einzigen Tisch setzen. Das
geht
nur, wenn sie alle gut vorbereitet und bereits auf einer "höheren
Ebene"
sind, auch geistig. Konfliktlösung hat mit Kreativität zu
tun, und niemand
ist kreativ, wenn er einem Mörder gegenüber sitzt, und zwar
dem Mörder
seiner Verwandten, Nachbarn. Dann verlangt man von ihm, kreativ zu
sein,
während sein Blut kocht? Das geht nicht.
Weltwoche: Konkret: Wie würden Sie einen Krieg zwischen Amerika
und dem
Irak vermeiden?
Johan Galtung: Es ist immer eine Frage der Zielsetzungen der verschiedenen
Parteien. Die Ziele des Iraks sind einfach. Sie haben mit Grenzziehungen
gegenüber Kuwait und Iran zu tun, mit der gemeinsamen Ausbeutung
der
Ölfelder, mit der Devisenlage nach dem Krieg 1980-1988. Wenn man
über das
Verbrechen der Besetzung Kuwaits - damals 19. Provinz des Iraks, der
Teil
des Osmanischen Reichs war - durch britische Truppen am Ende des 19.
Jahrhunderts gesprochen hätte, hätte man auch viele Probleme
nicht gehabt.
Weltwoche: Welche Interessen hat Amerika?
Johan Galtung: Meine These ist, daß es den Amerikanern darum geht,
ein
Land zu finden, das Saudi-Arabien ersetzen kann. Die USA werden
Saudi-Arabien aufgeben und es als Feind verstehen. Wenn 19 Araber,
15 von
ihnen aus Saudi-Arabien, am 11. September das World Trade Center und
das Pentagon in den USA angreifen, dann könnte es sein, daß
das etwas
mit Saudi-Arabien und diesen Gebäuden zu tun hat. Diese These
findet man
auch in der Weltwoche nicht. Sie ist zu klar und zu einfach.
Weltwoche: Sie glauben also, daß Saudi-Arabien hinter den Anschlägen
steckt?
Johan Galtung: Nein, der Wahhabismus. Er ist die Staatsreligion in
Saudi-Arabien, sehr fundamentalistisch und dem Puritanismus auf
amerikanischer Seite sehr ähnlich. Das hat mit Tiefenkultur zu
tun. Aber
das eigentliche Problem ist der Vertrag zwischen den USA und Saudi-
Arabien von 1945. Er ist den meisten unbekannt. Dort steht, daß
die USA
Zugang zu den Ölquellen haben, im Gegenzug garantieren sie der
Herrscherfamilie den Schutz gegen Opposition. Denn die al-Sauds wußten:
Was wir jetzt mit dem schwarzen Gold tun, ist mit dem Wahhabismus nicht
vereinbar. Sie haben die Bevölkerung bestochen, und es hat funktioniert.
Bis zum 11. September. Niemand in den USA hat verstanden, daß
es eine
grausame Beleidigung für den Glauben dieser Leute war. Denn der
Wahhabismus ist asketisch, geistig, nichtmaterialistisch: Geld zerstört die
Verbindung zu Allah. Die Wahhabiten verbieten jegliche Ausschmückung
der Moscheen. Und nun kam im Kielwasser des Öls all dieses Geld.
Jetzt
hat das Königshaus ein großes Problem: Ist es auf der Seite
der
Amerikaner oder des Wahhabismus? Um zu überleben, ist es plötzlich
ganz wichtig geworden zu zeigen, daß sie gute Wahhabiten sind.
Sie
sagten den USA kurz nach dem 11. September: Raus. Die Amerikaner
waren empört und überrascht. Und versuchten den Medien weiszumachen,
daß es nicht wahr war. Es war aber wahr. Meine These ist also:
Der Irak
ist ein Ersatzland für Öl und Militärbasen.
Weltwoche: Er kann aber vom Ölvolumen her nie Saudi-Arabien ersetzen.
Johan Galtung: Doch. Die Ölvorräte in Saudi-Arabien scheinen
zur Neige zu
gehen.
Weltwoche: Die Argumentation der USA, Saddam Hussein halte
Massenvernichtungsmittel bereit, sei eine Gefahr für den Weltfrieden...
Johan Galtung: ... ist falsch. Sie haben etwas gehabt, aber das ist
alles
zerstört. Die USA haben den Irak ja selber mit "kritischem Uran"
bombardiert, und das ist Massenvernichtung. Es geht um das, was die
Psychologen "Projektion" nennen.
Weltwoche: Projektion?
Johan Galtung: Das Problem sind nicht die Massenvernichtungswaffen.
Die
USA haben eine Liste von Grundsätzen. Die ist lang und nicht öffentlich.
Man muß zum Beispiel wissen, was JCS 570/2 ist.
Weltwoche: Was ist das?
Johan Galtung: Ja, sehen Sie. Das ist die strategische Bibel der USA
von
1944. Sie skizziert die Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg, und
alles,
was dort steht, haben sie umgesetzt.
Weltwoche: Wollen Sie damit sagen, daß sich an der Zielsetzung
der
amerikanischen Außenpolitik seit sechzig Jahren nichts geändert
hat?
Johan Galtung: Überhaupt nichts. Alles nur eine Frage von Gelegenheit
und Möglichkeit. Die geopolitische Doktrin der USA seit Anfang
des
Jahrhunderts lautet: Wer Osteuropa beherrscht, beherrscht Zentralasien,
wer Zentralasien beherrscht, beherrscht Eurasien. Und wer Eurasien
beherrscht, beherrscht die Welt. Die Welt beherrschen bedeutet zweierlei:
den Welthandel kontrollieren und militärisch dominieren. Dafür
standen
das World Trade Center und das Pentagon. Die amerikanische These,
die Anschläge hätten sich gegen die westliche Zivilisation
gerichtet, ist
nicht stichhaltig. Es ging ganz konkret gegen die ökonomische
und die
militärische Dominanz Amerikas.
Weltwoche: Also kein Kampf der Kulturen?
Johan Galtung: Die Amerikaner sind überzeugt, sie seien von Gott
auserwählt und die USA seien ein gelobtes Land. Gegen dieses gelobte
Land
Gewalt auszuüben, ist ein Verbrechen gegen Gott. Bisher haben
dies nur
zwei Mächte gewagt: die Japaner und die Terroristen. Bei Japan
endete es
mit zwei Atombomben, deshalb ist es wahrscheinlich, daß
es auch diesmal
mit Atombomben enden wird. Mit göttlichen Waffen.
Weltwoche: Atombomben gegen den Irak?
Johan Galtung: Nein. Wenn die Amerikaner einen Verdichtungspunkt finden,
die Quelle des Übels, könnten sie sie einsetzen. Nicht weil
es militärisch
effektiv ist, sondern psychologisch. Das Fegefeuer. Für die Amerikaner
war,
noch vor Hiroshima und Nagasaki, klar, daß Japan kapituliert
hatte. Sie
hatten nicht Rache im Sinn, sondern Strafe. Das ist die amerikanische
Tiefenkultur: Wir sind so hoch oben, so nahe bei Gott, daß die
normalen
Gesetze der Menschheit nicht auf uns anwendbar sind. Internationale Gesetze?
Ja, aber nur, wenn sie unseren Zielen dienen. Uno-Truppen sind Feiglinge.
Denn die eigentliche militärische Arbeit besteht darin zu töten,
und das
machen wir.
Weltwoche: Wenn Sie amerikanischer Präsident wären, was hätten
Sie am 12.
September gemacht?
Johan Galtung: Ich hätte Larry King gebeten, eine Stunde mit Bin
Laden zu
verbringen. Dann hätte CNN seine Partner von Al-Dschasira angerufen,
um
die geeignete Grotte zu finden... Kein Witz. Larry King hat ein
außerordentliches Talent. Wobei: Vielleicht wären zwei Sendungen
besser.
Zuerst Larry mit Georgie, dann Larry mit Ossi. Und dann sagt Larry
zu
Georgie: Ossi hat jetzt das und das gesagt. Direkt wäre es vielleicht
nicht gegangen.
Weltwoche: Sie vermuten Bin Laden hinter den Anschlägen?
Johan Galtung: Bin Laden hat den bekannten Text verfaßt, in dem
steht,
jetzt seien endlich die Amerikaner gedemütigt worden, nachdem
mehr als
achtzig Jahre lang die Muslime gedemütigt worden seien. 1916/17
waren die
schlimmsten Jahre in der arabischen Geschichte. (Das Sykes-Picot-
Abkommen von 1916, in dem England und Frankreich ihre Interessesphären
im Nahen Osten absteckten, wurde von den Arabern als Verrat empfunden,
weil es ihre Hoffnung auf Unabhängigkeit enttäuschte; die
Balfour-Deklaration von 1917 ebnete den Weg zur Gründung des Staates
Israel, A.d.R.). Aber ich glaube nicht, daß die Anschläge
von Bin Laden
organisiert wurden. Er war selber überrascht. Die 19 Attentäter
hatten das
organisiert. Experten in Ägypten und Pakistan meinen, daß
es al-Qaida gar
nicht gebe. Sie sei in Washington erfunden worden. Die Amerikaner
bräuchten so ein Phantombild.
Weltwoche: Die USA haben aber nicht sofort zurückgeschlagen, sondern
erst
mal Allianzen gebildet.
Johan Galtung: Die Entscheidung war sofort klar. Außenminister
Colin
Powell sagte: "We are going to identify al-Qaeda and crush it." Die
Uno
ist nur aus einem Grund interessant: Legitimierung. Außerdem
braucht die
Kriegsvorbereitung Zeit. Der Krieg gegen Saddam wird wahrscheinlich
im
Oktober losgehen.
Weltwoche: Daß sich eine Nation nach einem Terroranschlag militärisch
wehrt, ist doch legitim.
Johan Galtung: Ich verstehe es völlig. Aber es wird nichts lösen.
Es wird
weitere Gegenschläge provozieren, schlimmer als am 11. September.
Weltwoche: Die USA sollen noch die andere Wange hinhalten?
Johan Galtung: Ach, überlassen Sie das den Christen! Ich mache
sehr
konkrete Vorschläge. Gewalt schafft Gegengewalt...
Weltwoche: ...aber ist oft die einzige Option. Siehe Hitler.
Johan Galtung: Falsch, es gab eine wunderbare Option: die Revision des
Versailler Vertrags. Man hätte nicht das ganze deutsche - und
nur das
deutsche - Volk bestrafen sollen. Diesen Fehler hat man 1945 ja auch
nicht
wiederholt. Was die Ablehnung des Versailler Vertrags betrifft, hatte
Hitler die Unterstützung der Deutschen, in den anderen Punkten,
etwa der
Judenvernichtung, nicht.
Weltwoche: Aber hatte man 1939 noch Alternativen? Oder am 11. September?
Johan Galtung: Nein, 1939 nicht mehr. Am 11. September auch nicht. Aber
im
Mai vergangenen Jahres wäre noch vieles möglich gewesen.
Ich habe damals
sechs Punkte vorgeschlagen: 1. Truppen raus aus Saudi-Arabien. Das
wäre v
ielleicht eine annehmbare Entschuldigung gewesen für die Demütigung.
2. Ja
zu einem palästinensischen Staat. Über Details hätte
man nachher reden
können. 3. Herausfinden, was die eigentlichen Zielsetzungen des
Iraks
sind. 4. Einen Dialog mit Chatami im Iran. 5. Keinen Krieg gegen
Afghanistan, um Ölquellen zu erobern und eine Militärbasis
zu haben, weil
dies genau das Bild bestätigt, das die Araber von den Amerikanern
haben.
6. Versöhnung zwischen Amerikanern und arabischen Opferländern,
und zwar
nach dem Vorbild der Deutschen. Die haben das nach dem Krieg meisterhaft
gemacht. Wenn man von den sechs Vorschlägen drei im Mai realisiert
hätte,
hätte es keinen 11. September gegeben.
Weltwoche: Sie geben fast alle Schuld Amerika, aber das Land hat doch
der
Welt auch viel gebracht: Freiheit, es ist die älteste Demokratie...
Johan Galtung: Klar gibt es innerhalb der USA eine gewisse Demokratie.
Ich
habe acht Jahre dort gelebt. Das heißt aber nicht, daß
die Amerikaner auch
auf der Weltbühne demokratisch sind. Sie haben keinen Respekt
vor der
Uno oder vor einem internationalen Gerichtshof. Demokratie bedeutet
nicht
nur Wahlen, sondern auch Respekt und Dialog. Gemeinsam neue Lösungen
finden. Wann haben die USA einen Dialog mit al-Qaida zu führen
versucht?
Weltwoche: Aber Sie sagen selber, das waren 19 Individuen,
Selbstmordattentäter. Kann man mit solchen Leuten einen Dialog
führen?
Johan Galtung: Vielleicht nicht mit den 19, aber mit ihren Familien,
den
Angehörigen, Nachbarn. Stattdessen bestätigt Washington jeden
Tag die
Annahmen der Fundamentalisten. Am 30. Mai unterzeichneten die USA
einen Vertrag mit Turkmenistan über eine Pipeline. Es geht um
Öl aus
Nordafghanistan und Kandahar. Damit werden alle Vorurteile bestätigt.
Weltwoche: Aber es ist doch gut, daß die Taliban gestürzt
wurden, auch
wenn es nur ein Nebeneffekt war.
Johan Galtung: Ja. Aber dann gäbe es viele Regimes, die man wegbomben
müßte. Und es war vielleicht nicht mal im Interesse Afghanistans.
Man
sollte die Taliban weiterhin in die nationale Regierung einbinden.
Eine
hundertprozentige Taliban-Regierung ist schrecklich. Aber eine ganz
ohne
sie ist auch keine Lösung. Es gibt bessere, gewaltfreiere Methoden,
eine
Regierung abzulösen. Erinnern Sie sich an die Montagsdemonstrationen
in
der DDR? Ich bin nicht aus moralischen Gründen gegen Bombardieren;
es
funktioniert nicht, es ist dumm.
Weltwoche: Sie gehen davon aus, daß jeder Mensch für gute
Argumente
zugänglich ist?
Johan Galtung: Nein, aber oft gibt es ein Umfeld, das zugänglich
ist. Ich
habe Tausende Vermittlungsdialoge geführt. Meine Erfahrung ist,
daß es in
jedem Menschen etwas gibt, worauf man bauen kann.
Weltwoche: Kommen Sie oft selber in die Schußlinie?
Johan Galtung: Manchmal bin ich überrascht, daß ich überlebt
habe. Ich bin
71, guter Gesundheit, man hat mich bis heute nicht vergiftet. Ich bekomme
manchmal böse Briefe, aber das ist nicht so schlimm. Ich versuche
einfach,
lösungsorientiert zu arbeiten. Ich glaube, daß es Lösungen
gibt.
Meistens ist das für die Leute eine gute Nachricht, weil sie glauben,
es
gebe keine Alternativen mehr.
Weltwoche: Wie zum Beispiel in Israel.
Johan Galtung: Auch da gibt es eine Lösung, allerdings keine bilaterale.
Dafür gibt es zu viel Haß, Leiden, Blut. Aber es könnte
eine Lösung geben
unter Einbezug der Nachbarländer. So wie es keine Lösung
hätte geben könne
n nur zwischen Deutschland und Frankreich, aber zusammen mit andern
europäischen Ländern ging es. Bilateralen Haß abbauen
in multilateralem
Umfeld. Ich habe diese Ansicht die letzten Jahre oft eingebracht, und
ich
glaube, sie reift langsam. Vielleicht ist es in fünf Jahren so
weit.
Weltwoche: Warum sollte der Stärkere nachgeben?
Johan Galtung: Weil er in Wirklichkeit der Schwächere ist. Er sieht
nur
Johan Galtung: Es ist komplizierter und hat wieder mit der Tiefenkultur
zu
Weltwoche: Was ist denn die Tiefenkultur der Deutschen?
Johan Galtung: Die hat sich verändert, bis zu einem bestimmten
Punkt. "Am
Weltwoche: Aber Schröder spricht neuerdings vom "deutschen Weg".
Johan Galtung: Das macht mir Angst. Ich möchte gerne einen menschlichen
Weltwoche: Was uns noch mehr interessieren würde: die Tiefenkultur
der
Johan Galtung: ...läßt sich thesenartig in einem Satz zusammenfassen:
"Wir
Weltwoche: Und dennoch haben Sie gewisse Sympathien für den
Johan Galtung: Wenn man eine alternative Politik hat, muß man
dafür
Weltwoche: Die Schweizer sind keine guten Demokraten?
Johan Galtung: Gegenüber der EU. Ich sähe beispielsweise gerne,
daß die
Weltwoche: Das ist aber nicht der Grund, warum Sie in Frankreich wohnen
Johan Galtung: Ich schaue die Schweiz gern an. Aber man sieht besser,
wenn
Weltwoche: Wie steht es denn mit der Lernfähigkeit von Nationen?
Johan Galtung: Es ist tragisch, aber es scheint, daß es meist
nur über
Weltwoche: Welches Land gehört denn Ihrer Ansicht nach vor allem
auf die
Johan Galtung: Heute wären die USA der Hauptkandidat. Es müßte
also eine
Weltwoche: Mit welchem Menschen würden Sie jetzt am liebsten eine
Stunde
Johan Galtung: Mit Bush und Bin Laden. Ich lehne beide als
Weltwoche: Bei welchem der beiden hätten Sie mehr Hoffnung auf
ein gutes
Johan Galtung: Also, der Intelligentere ist bestimmt Bin Laden. Wenn
Weltwoche: Und die Amerikaner hätten nichts mehr zu sagen.
Johan Galtung: Nein, sie hätten immer noch 270 Stimmen. Sie
Weltwoche: Und Sie glauben, Bush würde sagen: Yes, Mister
Johan Galtung: Die Frage war nur, mit wem würde ich gerne
Weltwoche: Sie sind Optimist. Aber wenn man wie Sie davon
Johan Galtung: Oder die beiden analysieren. Es geht jetzt eine
WELTWOCHE, Heft 36 / 2002
stark aus. Hätte Bush nach dem 11. September gesagt: Offenbar
haben wir
die religiösen Gefühle vieler Menschen in Saudi-Arabien beleidigt,
und
hätte er die amerikanischen Truppen aus Saudi-Arabien zurückgezogen,
hätte ihn die ganze arabische Welt umarmt. Und er hätte fünzig
Milliarden
Dollar gespart. Aber Bush hat nicht das persönliche Format hierfür.
tun. Für Bush war der Terrorschlag ein "cultural assault", ein
Angriff auf
die amerikanische Kultur. Bush ist davon überzeugt, daß
die Amerikaner
eine kulturelle Botschaft haben. Sie in die Welt zu tragen, ist seine
eigentliche Mission. Öl und Militär sind nur Nebensachen,
bequem für die
Marxisten und die realpolitische Analyse. Aber die kulturelle Analyse
bringt uns weiter.
deutschen Wesen soll die Welt genesen" war ein Ausdruck dafür.
Die
Ausstrahlung. Daß in der Gesellschaftsstruktur und in der Persönlichkeit
etwas eingebaut sei, was für die Welt ein Geschenk sei. Deshalb
müßten
die Deutschen oben sein. Diese Einstellung gab es schon lange vor Hitler.
Zur Kaiserzeit, etwa ab 1200. Heute ist es anders.
Weg finden. Ich sage immer: Ich finde es wunderbar, wenn die Deutschen
auf
der Suche nach einem Sinn sind. Wenn sie ihn gefunden haben, dann wird
es
ernst. Dann glauben sie daran.
Schweizer...
sind ein Sonderfall, wir stehen ganz außerhalb der Welt, und
deswegen sind
wir nicht nachahmbar." Darum sind die Schweizer auch nicht so gute
Botschafter für die Welt. Ich glaube, daß die Schweiz eine
Menge gute
Lösungen gefunden hat. Aber warum machen sie nicht mehr daraus?
Weil sie
denken, daß dies nichts für andere Leute ist. Ich schlug
einmal bei einer
Konferenz vor, Kosovo als unabhängiges Land mit einem oder zwei
serbischen
Kantonen zu konzipieren. Man könnte alles zweisprachig anschreiben,
wie
die viersprachig beschrifteten Milchkartons in der Schweiz. Als Beispiel
zeigte ich eine Schweizer Zehnernote. Die Leute hatten keine Ahnung,
daß
so etwas überhaupt existiert und möglich ist. Kein Schweizer
ist da
gewesen, um ihnen zu sagen: Wir haben ein Modell, das interessant ist.
Interessant auch für Afghanistan mit seinen zwölf Nationen.
schweizerischen Sonderweg.
einstehen. Das kann man auch in der EU. Aber dann muß man sagen:
Ja, wir
möchten Mitglied sein, und wir würden gerne Folgendes bewirken.
Die
Schweiz sagt das nie. Stattdessen fordert sie, den Güterverkehr
von der
Straße auf die Schiene zu verlegen, aber das betrifft ja nur die Schweizer.
Deswegen sind sie keine guten Demokraten, denn Demokratie ist Dialog,
und da muß man reden.
Regierung sagen würde: Wir haben Volksentscheide in der Schweiz,
Initiativen und Referenden. Ist die EU dazu bereit?
und nicht in der Schweiz?
man ein bißchen außerhalb ist.
Katastrophen geht. Es ist ja genau dasselbe mit den Individuen. Sie
kommen
zum Therapeuten, wenn sie eine schlimme Krise erlebt haben. Es wäre
aber
nicht schlecht, wenn sie früher kommen würden.
Couch?
ganz große Couch sein. Aber ich glaube auch, daß die USA
die Fähigkeit
haben umzudenken. Nicht heute, aber vielleicht morgen. Ich könnte
mir
vorstellen, daß ein Präsident kommen wird, der sagt: "Americans,
I have an
important message tonight: Wir sind nicht allein, aber meistens sind
wir
selber daran schuld, wenn wir Probleme haben."
verbringen?
Fundamentalisten ab, sie haben dieselbe Tiefenkultur. DMA, wie ich
das
nenne: Dualismus, Manichäismus, Armageddon. Dualismus: Die Welt
ist
zweigeteilt. Manichäismus: Es gibt die Bösen und die Guten.
Armageddon:
Das kann nur mit einer Endschlacht entschieden werden.
Gespräch?
Intelligenz eine Zugangstür ist, könnte ich diese Tür
öffnen. Auch bei
Bush gäbe es etwas: das Amerikanische. Ich könnte ihn fragen:
Wäre es
nicht besser für Amerika, sich durch Demokratie und Dialog auszuweisen?
Wie zum Beispiel mit einer Initiative für ein Uno-Parlament. Eine
Stimme pro Million Einwohner. Das heißt 270 Stimmen für
die USA, aber 1250
Stimmen für die Chinesen. Es wäre problematisch, aber die
Welt würde die
USA umarmen.
Einmal umarmt, und das wäre das Ende.
könnten sich gut vorbereiten, und das machen sie ja auch häufig,
wenn sie gut arbeiten.
Galtung, you are right?
zusammentreffen... Im Übrigen bin ich nicht davon überzeugt,
daß
der Weg über Bush oder Bin Laden gehen muß.
ausgeht, daß Bush und Bin Laden Brüder im Geiste sind, was
das
Ziel der Endschlacht angeht - da müßte man doch verzweifeln.
Welle von Kritik am Fundamentalismus durch die arabische Welt,
weil die Araber zu Recht sagen: Die verbreiten ein schlechtes Bild
des Islams in der Welt. Ich erwarte jetzt dieselbe Bewegung in den
USA, gegen den amerikanischen Fundamentalismus. Das kommt.
Da bin ich zuversichtlich.