Vom falschen Preis und seiner Wirkung

Das Produktionsmittel des Landwirtes

Martin Hollerbach, Landwirt, Dottenfelderhof, Bad Vilbel

Bei der Betrachtung der riesigen Landmaschinen, mit denen die Felder bestellt werden, kann man leicht auf den Gedanken kommen: Welche ausgefeilten Produktionsmittel erleichtern heute den Landwirten die Arbeit. Doch die Maschinen sind in Wirklichkeit nicht das Produktionsmittel des Bauern. Sie sind die Hilfsmittel bei Bestellung der Felder, der Pflege und der Ernte. Das Produktionsmittel der Landwirtschaft sind vielmehr Boden, Pflanze und Tier. Das erfordert ein ganz anderes Verständnis von Wirtschaft, als es die moderne Betriebswirtschaftslehre entwickelt hat. Letztere ist aus der Beobachtung des Handels und der technischen Produktionsprozesse entwickelt worden. Wird sie einfach auf die landwirtschaftlichen Verhältnisse angewendet, wird der Hoforganismus zerstört: Es entsteht der Spezialbetrieb, das heißt der klassische landwirtschaftliche Betrieb wird in seine Teile zerlegt. Das Kennzeichen ist z. B. der reine Viehbetrieb, in dem der Mist ohne Stroh zum Abfall wird. Nur so entsteht ein Ackerbaubetrieb, der so viel Stickstoff düngt, dass das Grundwasser gefährdet wird und Bodenerosion die Folge ist. Eine solcherart betriebene Landwirtschaft ist auf dem besten Wege, ihr Produktionsmittel nachhaltig zu zerstören.

Der Weg in die Planwirtschaft

In Zeiten der Knappheit, wie zum Beispiel nach einem Krieg oder einer Naturkatastrophe, wird die Bedeutung der Landwirtschaft zur "bauchnahen" Erfahrung. Nur dann kann sie sich gegen ihren Gegenpol im modernen Wirtschaftsleben, der Kapitalwirtschaft, behaupten. Knappheit an Lebensmittel ist aber auch immer ein potentieller Unruhefaktor im politischen Leben. Die westliche Welt setzte daher nach Kriegsende alles daran, diesen Unruhefaktor zu beseitigen. Dabei baute man auf die Anwendung einer Mischung von planwirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Methoden. Die betriebswirtschaftliche Denkweise wurde quasi von staatlicher Seite bei den Landwirten erst populär gemacht. Es war zunächst eine politische Zielsetzung, dass die Preise in der Landwirtschaft sinken und dadurch Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft freigesetzt werden (z. B. für den Aufbau des Wirtschaftswunders in der BRD, für den ja dann noch zusätzlich viele Gastarbeiter aus dem Ausland herbeigerufen wurden). Die Phase der echten Knappheit an Nahrungsmitteln war allerdings relativ bald überwunden. Die Eigendynamik des Wirtschaftslebens trieb den Prozess der Entwertung der landwirtschaftlichen Arbeit jedoch immer weiter.

Ein Einblick in diesen Prozess ergibt sich aus der Erzeugerpreisentwicklung für landwirtschaftliche Produkte und die Entwicklung der Verbraucherpreise in der Tabelle:

Erzeugerpreise in DM

1950

2002

Weltmarkt 2002

Weizen dz

50,-

26,-

ca.12,-

Kalb

450,-

85,-

 

Kuh

2.000,-

1.100,-

 

Schlepper 50 PS

12.000,-

95.000,-

 

Brötchen zu 100g

1955

2002

Endverbraucherpreis

10 Pf

60 Pf

Anteil für den Landwirt

5 Pf

2,5 Pf

Die Zahlen charakterisieren die Preisbildung in der Landwirtschaft; sie sind für andere landwirtschaftliche Produkt vergleichbar. Diese Preise mussten von den Landwirten kompensiert werden. So konnten die Arbeitskräfte nicht mehr bezahlt werden und mussten frei gesetzt werden. Stattdessen wurde die Arbeit von Maschinen übernommen. Die Betriebe mussten zusammengelegt werden, da aus betriebswirtschaftlicher Sicht bei mehr Fläche pro Betrieb ein höherer Ertrag erzielt werden konnte. Vor allem aber wurden die Betriebe, wie schon erwähnt, zu Spezialbetrieben gemacht.

Begleitet wurde dieser Prozess durch staatliche bezahlte Berater (Naturwissenschaftler und Betriebswirte) der Landwirte. Es wurde dadurch eine Denkweise am Naturpol des Wirtschaftslebens etabliert, die diesem völlig fremd war und immer weitere unerwünschte ökologische und ökonomische Nebenfolgen erzeugte. Dem Preisverfall der landwirtschaftlichen Erzeugnisse suchte man durch eine Politik der Subventionen beizukommen. Diese hat aber nur den Großbetrieben geholfen, ihre hohen Gewinne durchzusetzen, denn die Subvention bewirkt gerade, dass ein Produkt zu einem niedrigen Preis angeboten werden kann, als seine Herstellung kostet. Es wird letztlich nur Sterbehilfe mit der Subvention geleistet. So sind viele Subventionen mit der Betriebsabgabe oder an bestimmte minimale Betriebsgrößen gebunden, Übergänge werden erleichtert oder die Betriebsaufgabe wird abgefedert.

Was bedeutet dieses für die biologisch-dynamische Landwirtschaft?

Durch die Herausbildung der Spezialbetriebe sind die Viehhaltung und der Ackerbau auseinander gebrochen. Dieser Vorgang ist abgeschlossen. Er stellt das größte Hemmnis für den biologisch - dynamischen Landbau, sowie die Ausbreitung des ökologischen Landbaues dar. Es ist damit ein großer Teil der Agrarkultur der europäischen Geschichte wie ausgelöscht.

Mit der Kompensation allein ist nach der Osterweiterung mit den Großbetrieben, dem Agrarhandel in der Weltwirtschaft, mit den Umsätzen im Öko-Handel und mit der Flächensubvention nicht mehr auszukommen. Es werden allgemein andere Einkommensquellen gesucht und erschlossen, z. B. die Verarbeitung jeglicher Art, Direktvermarktung; Ferien auf dem Bauernhof, Schulbauernhof, Kleinzoo für Haustiere, Unterstellflächen-Anbieter, Altenheim, Betreuung, Heilpädagogik, Drogentherapie.

So wird die Landwirtschaft ganz allgemein zum Nebenerwerb, zum Hobby. Dieser Nebenerwerb verbilligt weiter die Preise, denn das Einkommen der Menschen kommt aus andern Quellen. Der Preis wird nicht richtig gebildet. Die Arbeit in der Landwirtschaft z. B. dient der Therapie.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass mit der Landwirtschaft heute eine gesellschaftliche Frage verbunden ist. Doch vielleicht wird in Zukunft von einer biologisch-dynamischen Landwirtschaft, die mit einem Gewerbe in der einen Richtung oder mit einer gemeinnützigen Tätigkeit in Form von Forschung und Ausbildung in der anderen Richtung verbunden ist, immer stärker ein gesellschaftlicher Heilfaktor ausgehen können. Unser Denken hat sich von den realen Weltprozessen abgelöst. Wir müssen lernen, es wieder mit der Welt verbinden zu können. Anhand eines gesunden landwirtschaftlichen Hoforganismus kann erlebt werden, wie dieses möglich ist.

Martin Hollerbach, Landwirt, Dottenfelderhof, Bad Vilbel