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Klimawandel: Warum uns nur ein Wunder retten kann.

Klimawandel - Das wird nichts mehr

Die Pariser Klimakonferenz läuft. Forscher werden warnen, Aktivisten fordern und Politiker feilschen. Doch den Planeten, so wie wir ihn kennen, retten sie nicht mehr. Warum uns jetzt nur ein Wunder helfen kann.

01.12.2015, Ulf von Rauchhaupt

Schaffen wir rechtzeitig den Ausstieg aus der Kohle?

Spitzbergen ist der polnächste Ort, zu dem man per Linienflug reisen kann. Aber nicht nur das macht die Inselgruppe im Herzen der Hocharktis zu einem Symbol der planetaren Herrschaft des Menschen – und seinem Hadern damit. Das Archipel verfügt über reiche Kohlevorkommen, doch anderswo ist der fossile Brennstoff billiger aus der Erde zu holen. So reiht sich an den kahlen Felshängen oberhalb des Hauptortes Longyearbyen eine verlassene Mine an die nächste. Stattdessen werden heute Tourismus und vor allem Wissenschaft großgeschrieben. Seit 1993 verfügt Longyearbyen über eine Universität, und das Dienstboot des Syssel­manns, des norwegischen Gouverneurs, sieht aus wie ein Forschungsschiff.

Tatsächlich können Wissenschaftler hier das Heraufziehen eines neuen Abschnitts der Erdgeschichte studieren. Die mittlere Jahrestemperatur steigt in den hohen nördlichen Breiten doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt, mit Folgen bis in die Tiefsee. Kürzlich veröffentlichten Forscher des Alfred-Wegener-Instituts Ergebnisse einer biologischen Langzeitstudie zwischen Grönland und Spitzbergen über 15 Jahre hinweg. Zwischen 2005 und 2008 kam es dabei zu einem vorübergehenden Einströmen ein bis zwei Grad wärmeren Wassers mit deutlichen Auswirkungen auf die Meeresfauna. Und manche Änderungen blieben auch bestehen, nachdem sich die Temperaturen wieder stabilisierten. Die von Schaum­algen verdrängten Kieselalgen erholten sich kaum, und die mit dem Wärmeeinbruch eingewanderten Flügelschnecken scheinen heimisch geworden zu sein.

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Noch ist es in den meisten solcher Fälle statistisch unzulässig, die einzelnen Veränderungen kategorisch auf die globale Erwärmung zu schieben, denn dazu müsste lange genug beobachtet worden sein, um Trends in den Mittelwerten über mindestens 20 Jahre feststellen zu können. Doch auch wenn man sie alle nur als Hinweise wertet, nehmen sie doch allmählich überhand. Hingegen sprechen die Trends in einigen wichtigen physikalischen Parametern heute eine klare Sprache, allen voran die globalen Durchschnittstemperaturen. Das Jahr 2015 dürfte das wärmste seit Beginn der weltweiten Statistiken 1880 werden. Und der Mensch ist der Verursacher dieser Erwärmung.

Wer daran noch zweifeln will, muss schon eine Weltverschwörung der Klimaforscher postulieren. Alle anderen erkennen den Schuldigen im Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, aber etwa auch aus der Betonherstellung. Und die CO2-Konzentrationen steigen unvermindert. Im Frühjahr 2015 überschritten sie im Monatsmittel zum erstem Mal die Marke von 400 ppm, also 400 Kohlendioxidmoleküle unter einer Million Luftmolekülen. Zu Beginn der Industrialisierung waren es noch weniger als 280 ppm.

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Vier Grad in 100 Jahren

CO2 und andere klimawirksame Gase sorgen über den sogenannten Treibhauseffekt für höhere Temperaturen, da sie Wärmestrahlen zurückhalten. Physikalisch bekannt ist dieser Effekt seit über 100 Jahren. Dass er in der Atmosphäre wirksam sein muss, ist seit mehr als 50 Jahren sicher. Doch erst seit den späten 1980ern begann er sich in den Klimadaten empirisch anzudeuten. Und die im jüngsten, 2014 veröffentlichten Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC zitierten Modelle sagen für das Jahr 2100 im Mittel einen Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur um etwas über vier Grad gegenüber dem Durchschnitt von 1986 bis 2005 voraus, sollten die CO2-Emissionen weiter so steigen wie bisher.

Vier Grad in hundert Jahren klingt wenig. Doch global gesehen, beschert uns das einen anderen Planeten, und zwar in – geologisch gesehen – irrwitziger Geschwindigkeit: Ökologische Systeme verlagern sich, wie etwa um Spitzbergen schon jetzt zu besichtigen ist; bestimmte Organismen, allen voran die Korallen, dürften in großem Umfang zugrunde gehen; infolge des höheres Wasserdampfgehaltes kann die Atmosphäre mehr Energie speichern, weswegen man mit stärkeren Wirbelstürmen und häufigeren und schwereren Extremwetterlagen rechnet – und die Meeresspiegel steigen, im globalen Mittel mindestens um 60 Zentimeter. 

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Beunruhigende Blicke in die Vergangenheit

Und das ist noch die konservativste Schätzung. Andrea Dutton von der University of Florida ist eine Expertin für die Meereshöhen vergangener Erdepochen. Zusammen mit Kollegen hat sie im Juli in Science eine Untersuchung vorgelegt, nach der etwa in der Eem-Warmzeit vor 125 000 Jahren bereits eine Erwärmung von einem Grad reichte, um die Meeresspiegel um mehr als sechs Meter ansteigen zu lassen. Noch ist nicht klar, ob die Eem-Zeit ein gutes Analogon zur Gegenwart darstellt, aber im Pliozän, vor drei Millionen Jahren, als die Luft zuletzt 400 ppm CO2 enthielt, standen die Meere ebenfalls mindestens sechs Meter höher als heute – vielleicht aber auch mehr als 40 Meter. Der Grund dafür dürfte jedes Mal das Abschmelzen großer Eismassen auf Grönland und in der Westantarktis sein – Prozesse, die auch aktuell beobachtet werden. 

Die anschwellenden Ozeane werden langfristig die drastischsten Folgen zeitigen. Denn anders als zur Eem-Zeit siedeln heute Hunderte Millionen Menschen in flachen Küstengebieten. Die werden dann anderswohin ziehen müssen und in Deutschland, das vielleicht in der Lage sein wird, seine Küstengebiete mit gigantischen Deichen zu schützen, wird man sich nach den Zeiten zurücksehnen, als es gerade mal ein paar hunderttausend Syrer unterzubringen galt. 

Die Zwei-Grad-Grenze

Lässt sich das alles noch vermeiden? Ein Heer von Fachleuten und Politikern hofft darauf und versammelt sich ab morgen zwölf Tage lang in Paris zur UN Klimakonferenz. Ziel ist ein bindendes Abkommen, das die Staaten dazu verpflichtet, adäquate Beiträge zur Reduktion der Kohlendioxidemissionen zu leisten. Viele Beobachter wünschen sich, dass man sich nun endlich auf ein Reduktionszenario einigt, das die langfristige globale Erwärmung auf maximal zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt.

Diese zwei Grad gehen nicht zuletzt auf Hans Joachim Schellnhuber vom 1992 gegründeten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zurück, der kürzlich seine Erfahrungen aus mehreren Jahrzehnten Klimadebatte in einem sehr persönlichen, manchmal weitschweifigen, zugleich aber gut lesbarem Buch mit dem Titel „Selbstverbrennung“ zusammengefasst hat.

Keine politische Hausnummer

Dort erklärt er auch, warum das Zwei-Grad-Ziel keineswegs die rein politisch inspirierte Hausnummer ist, für die manche Kritiker es halten: Würden die zwei Grad nicht überschritten, argumentiert er, vermiede man nach heutigem Stand der Forschung fast alle sogenannten Kipppunkte, bei denen schwere irreversible Änderungen des Erdsystems mit hoher Wahrscheinlichkeit einträten: vom Verschwinden des arktischen Sommereises, der grönländischen und des westantarktischen Eisschilde bis hin zu Verlagerungen der großräumigen Meereströmungen, deren Teil der Golfstrom ist. Nur den Untergang der Korallen würde auch ein Einhalten der Zwei-Grad-Grenze nicht verhindern.

Auch eine zwei Grad wärmere Welt wäre also nicht mehr der Planet, den wir heute kennen, insbesondere dann, wenn Andrea Dottons Ergebnisse aus der Eem-Zeit und anderen Warmperioden irgend eine Bedeutung für die Gegenwart haben. Das muss man sich vor Augen halten, um zu verstehen, wie ernst, um nicht zu sagen hoffnungslos, die Lage ist.

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Optimismus unbegründet

Die Laune wird nicht besser, wenn man beim IPCC nachliest, was zur Einhaltung der Zwei-Grad-Marke denn erforderlich wäre: Mit einer akzebtablen Wahrscheinlichkeit gelänge das nur, wenn letztlich 75 bis 80 Prozent aller bekannten und wirtschaftlich nutzbaren Vorräte an fossilen Brennstoffen im Boden blieben und von 2011 bis 2100 nicht mehr als 1000 Gitatonnen Kohlendioxid frei werden. Das Problem dabei: Allein zwischen 2011 und 2014 wurden davon bereits 140 Gitatonnen emittiert.

Trotzdem möchten engagierte Klimaforscher im Hinblick auf Paris Hoffnung verbreiten und erklären, das sei machbar, wenn nur die Emissionen bis zum Ende des Jahrhunderts auf null zurückgefahren würden. Doch allein an dem Zeitplan gibt es Zweifel. So wies Kevin Anderson von der University Manchester unlängst in Nature darauf hin, das dieser Optimismus negative Emissionen voraussetzt, also noch nicht vorhandene Techniken, um CO2 aus der Luft zu entfernen. Ohne diese wäre das Zwei-Grad-Ziel nur durch eine komplette Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Das stelle man sich vor: In von heute an 35 Jahren dürfte kein einziges Auto mit Verbrennungsmotor mehr fahren, kein Flugzeug mehr mit Kerosin fliegen und kein Sack Zement mehr produziert werden.

Es fehlt der universelle Ersatz

Es gibt keinen einzigen plausiblen Grund für die Annahme, irgendeine Regierung könnte per politisches Programm zu so etwas in der Lage sein, geschweige denn eine Gemeinschaft aus 193 Staaten mit sehr verschiedenen sozioökonomischen und politischen Voraussetzungen. Auch der Hinweis auf das Montreal-Abkommen von 1987, mit dem es gelungen war, die Ozonschicht schädigende Substanzen zu bannen, tröstet nicht. Damals ging es um Spartenchemikalien, für welche die Ersatzstoffe praktisch schon gefunden waren, nicht um den weltweit zentralen Energieträger.

Hier gibt es keinen universelle Ersatztechnologie. Es gibt Teillösungen wie die erneuerbaren Energiequellen, die selbst nicht alle ohne ökologische und soziale Probleme sind – man denke nur an den Biosprit. Besonders ernüchternd sind die Aussichten im Transportsektor, der gegenwärtig für 23 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Die Globalisierung mit ihrem Warenfernverkehr trifft dabei noch die geringste Schuld. Am meisten emittiert der Passagiertransport auf der Straße, und der Flugverkehr hat die höchsten Zuwachsraten. Reduktionsoptimisten freuen sich darüber, weil sie glauben, durch Verhaltensänderungen der Transportierten ließen sich da besonders hohe Einsparungen erzielen. Vermutlich wird aber gerade umgekehrt ein Schuh daraus: Während sich Energieerzeuger und Industrie so regulieren lassen, dass  es für den Bürger nur quantitativ teurer wird, ist der Individualverkehr viel schwerer zu steuern, ohne dass sich der Bürger qualitativ gegängelt fühlt und das nächste Mal die andere Partei wählt. Verhalten lässt sich nicht einfach verordnen, zumindest nicht in einer Demokratie.

Eine Ökodiktatur bringt auch nichts

Diese Erkenntnis dämmert auch manchen Aktivisten. Die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes aus Harvard und ihr Kollege Erik Conway haben kürzlich den Roman „Vom Ende der Welt“ veröffentlicht, in dem Historiker nach dem Jahr 2093 die Gründe für den katastrophalen Wandel beschreiben, der dann über Erde und Menschheit hereingebrochen ist. Neben einer bitteren Anklage gegen die sogenannten Klimaskeptiker äußern Oreskes und Conway dort die zutiefst fragwürdige Ansicht, man hätte es um 1990 herum nicht so genau mit der Statistik nehmen dürfen und bereits die ersten Hinweise auf einen menschengemachten Klimawandel als Beweis für seine Realität werten müssen, um dadurch Anlass für sofortiges und radikales politisches Handeln zu nemen. Zugleich aber beschreiben sie das autoritäre China als den Staat, der sich noch am vernünftigsten um den Klimaschutz bemüht hat. Und bereits 2009 zitierte eine Zeitung den amerikanische Klimaforscher James Hansen mit der Bemerkung, „der demokratische Prozess scheint nicht zu funktionieren“.

Es ist indes sehr fraglich, ob Diktaturen die „Große Transformation“ wie Hans Joachim Schellnhuber den Umbau zu einer CO2-freien Weltwirtschaft nennt, wirklich besser hinbekämen als Demokratien. Der Soziologe Nico Stehr von der Zeppelin Universität in Friedrichshafen bestritt das unlängst in Nature vehement,  nicht zuletzt unter Verweis auf die desaströsen Umweltbilanzen Russlands und Chinas. Kurz darauf kam heraus, dass China pro Jahr 17 Prozent mehr Kohle verbrennt, als seine Regierung bisher angegeben hatte. Auch eine Öko-Diktatur würde früher oder später korrupt und intransparent und ihre Führer würden zunächst an sich selber denken statt an künftige Generationen.

Wie eine Naturkatastrophe

In einer Demokratie darf wenigstens jeder an sich selbst denken, und ob man von ihm realistischer Weise verlangen kann, für die Zukunft anderer Menschen vorzusorgen, wo viele doch nicht einmal ihre eigene Alterssicherung im Griff haben, muss bezweifelt werden. Und wenn Schellnhuber die „Große Transformation“ mit der Neolithischen und der Indus­triellen Revolution in eine Reihe stellt, dann sagt er damit eigentlich bereits, dass dergleichen nicht Konferenzen beschlossen und von Behörden umgesetzt werden kann.

Das heißt nicht, dass Bemühungen wie jetzt in Paris vergeblich wären. Jedes Grad Erwärmung weniger, jeder vermiedene Meter Meeresanstieg wird Leid mindern, Tierarten bewahren, Menschenleben schützen. Maßnahmen wie ein globaler Emissionshandel würden wirklich helfen, aber sie werden unseren Planeten, so wie wir ihn kennen und lieben, nicht retten. Es gibt nun einmal Dinge, die sind der Sphäre des Politischen entzogen. Wir müssen sie hinnehmen wie eine Naturkatastrophe, auch wenn wir die Verursacher sind. 

Wir brauchen ein Wunder, irgendeins

Retten kann uns nur ein Wunder. Hans Joachim Schellnhuber beschwört ein solches, wenn er auf eine „Weltbürgerbewegung“ hofft, die graswurzelartig ihren politischen und industriellen Eliten in Sachen Klimaschutz Dampf macht. Das aber wäre ein völlig unwahrscheinliches, ein anthropologisches Wunder. Realistischer ist da ein technologisches Wunder, eine überraschende Innovation, die Energieerzeugung und Transport vom Kohlenstoff erlöst, die aber keines politischen Willens oder Förderung bedarf, sondern iPhone-artig über uns kommt und sich durchsetzt, nicht weil sie in hundert Jahren den Planeten rettet, sondern weil sie jetzt vielen einen Vorteil bringt und  ihre Erfinder märchenhaft reich macht. Denn nur so laufen sie ab, die großen Transformationen, das war grundsätzlich auch in der Jungsteinzeit nicht anders.

Wenn das Wunder ausbleibt, müssen wir auch klarkommen. Oberhalb des Flughafens von Longyearbyen auf Spitzbergen ragt ein eigentümlicher Sporn aus Beton aus den Felsen. Hoch über dem Isfjorden gelegen erinnert er an ein Kriegerdenkmal. Es ist aber der Eingang zu einer Schatzkammer. 120 Meter tief geht es dort in den Permafrost, wo bei minus 18 Grad Kisten voller Körner lagern. Der „Global Seed Vault“ verwahrt die Samen  von Nutzplanzen aus aller Herren Länder, auf dass die ackerbauende Menschheit nach Kriegen und Naturkatastrophen nicht völlig von vorne anfangen muss. Die norwegische Regierung hat den Samenbunker vorausschauend gebaut: Der Eingang liegt 130 Meter über dem Fjord. So hoch steigt das Meer auch dann nicht, wenn die gesamte Westantarktis abschmilzt.